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Armut ist weit mehr als ein Mangel an Gütern

Caritas-Präsident Dr. Neher in Hof
Datum:
Veröffentlicht: 12.12.19
Von:
Klaus-Stefan Krieger

Caritas-Präsident Dr. Peter Neher sprach in Hof

„Die gefundene Lösung ist zweifellos ein Beitrag zum Schutz vor Altersarmut“, begrüßt Caritas-Präsident Dr. Peter Neher die Grundrente. Es sei gut, dass auf eine Einkommensprüfung verzichtet werde. Dass der Anspruch automatisch geprüft werde, verhindere, dass aus Scham kein Antrag gestellt werde. Das wirke verdeckter Armut entgegen.

Zum Thema „Versteckte Armut und offensichtliche Not“ sprach der Präsident des Deutschen Caritasverbandes im Forum der Sparkasse Hochfranken in Hof. Diese hatte ihn zum Auftakt der Spendenaktion „Hilfe für Nachbarn“ eingeladen, die das Geldinstitut jedes Jahr zusammen mit der örtlichen Tageszeitung durchführt.

In Frage stellte Neher, ob die fixe Anforderung von 35 Beitragsjahren gut gewählt sei. Mit der vorgesehenen Wirkungsprüfung bestehe zumindest die Chance, diese Grenze noch einmal zu überdenken.

Kritik übte Neher aber am politischen Tauziehen im Vorfeld: „Der monatelange Streit um die Grundrente hat das Gefühl, es gehe in Deutschland immer ungerechter zu, sicher nicht verringert.“

Diese subjektive Einschätzung vieler Bürger lasse sich zwar durch die Einkommensverteilung nicht erhärten; sie sei in Deutschland seit 2005 nahezu gleich geblieben. „Extrem ungleich“ sei aber die Vermögensverteilung. Die „untere“ Hälfte der erwachsenen Bevölkerung besitze nur 1 Prozent des gesamten Vermögens. Diese Schere werde durch Vererbung noch weiter aufgehen.

In seinem Vortrag wies Neher darauf hin, dass Armut mehr sei als materielle Armut. Sie umfasse nicht nur den Mangel an Gütern, sondern auch mangelnde soziale und kulturelle Teilhabe. Wer sich keinen PC, keinen Kinobesuch oder nicht die Mitgliedschaft im Sportverein leisten könne, sei von der Lebensweise ausgeschlossen, die bei uns als Minimum gelte. Armut bedeute auch Verlust von Beziehungen, schlechter Gesundheitszustand, geringe Lebenserwartung sowie schwindende Kontrolle über das eigene Leben.

Leider sei Armut schwer zu berechnen. Die gern beanspruchte Armutsrisikoquote ist, so Neher, „mit Vorsicht zu genießen“. Denn unter sie fielen auch Schüler, Studenten und Auszubildende; diese hätten aber – im Gegensatz etwa zu bedürftigen Familien – eine Perspektive. Aufschlussreich sei dagegen der Anteil derer, die auf staatliche Grundsicherung angewiesen sind: rund 7,5 Millionen Menschen, von denen etwa 6 Millionen Hatz IV beziehen.

Neher erhob für sie die Forderung nach einem auskömmlichen Einkommen. Gegenwärtig seien in den Hatz IV-Sätzen die Kosten weder für Energie noch digitale Geräte ausreichend berücksichtigt. Offline zu sein, bedeute in einer Zeit, in der Behörden Formulare nur noch im Web zur Verfügung stellen, ausgeschlossen zu sein.

Vehement forderte der Caritas-Präsident, die Sondersanktionen für Jugendliche, denen Hartz IV vom Jobcenter bis auf Null gekürzt werden können, abzuschaffen. Auch für sie müsse die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts gelten, dass ein Abzug von 30 % das Äußerste sei, das der Menschenwürde entspreche. Neher beklagte, dass 14 % der Kinder und Jugendlichen auf staatliche Unterstützung angewiesen seien.

Konkret von Not berichtete im Anschluss Maria-Luise Schaffron von der Kirchlichen Allgemeinen Sozialarbeit. Sie erzählte von der alten Frau, die von 200 Euro im Monat lebt und erst in die Beratungsstelle kam, als ihr Herd defekt war. Oder von Angehörigen, die sich die Fahrt zu Mutter oder Kind in die Klinik nach Bamberg oder Bayreuth nicht leisten können.

800 Beratungen führe der Dienst jährlich durch; bei 700 Klienten stehe die finanzielle Not im Vordergrund. In Hof waren im November 4.300 Personen arbeitslos. Rund 1.500 Kinder und Jugendliche müsse man, so Schaffron, als Mit-Betroffene hinzurechnen.

Diese Menschen mit individuellen Beihilfen zu unterstützen, sieht die Aktion „Hilfe für Nachbarn“ als ihre Aufgabe an. Oft genügen, so Schaffron, schon kleine Beträge von 10 bis 20 Euro. Den größten Zuschuss habe 2019 bei der Diakonie ein schwerkranker Familienvater für einen Treppenlift erhalten. Mit dem Geld für eine Autoreparatur habe man erreicht, dass eine alleinerziehende Mutter ihre Arbeitsstelle behalten konnte.